Hans-Arthur Marsiske 07.02.2008
Der Name Columbus (4) für das europäische ISS-Modul geht zurück auf die ursprünglichen Terminplanungen. Denn als zu Beginn der achtziger Jahre die ersten Studien zu einer europäischen Beteiligung an einer damals noch US-amerikanischen Raumstation erarbeitet wurden, ging man von einer Realisierung im Jahr 1992 aus. Das wäre genau 500 Jahre nach der berühmten Expedition von Christopher Columbus gewesen. Der hatte damals auf der Suche nach einem Seeweg nach Indien einen bis dahin in Europa gänzlich unbekannten Kontinent entdeckt.
Der Terminplan ließ sich nicht einhalten, doch der Name ist geblieben. Auch mit gut 15 Jahren Verspätung sehen sich die Raumfahrer weiterhin in der Tradition der Entdeckungsreisen des 15. und 16. Jahrhunderts. Die mission patches zeigen denn auch eine Tradition ohne Brüche: So verbindet das Logo der Shuttle Mission STS-122 (5), die das Forschungsmodul zur Internationalen Raumstation ISS bringen soll, mit drei kühn geschwungenen Linien Columbus' Flaggschiff "Santa Maria" mit der Raumfähre "Atlantis". Auf dem Logo des Labors selbst symbolisiert eine weiße Linie über der hellblauen Erdkugel zugleich den Ost-West-Kurs der Santa Maria und die West-Ost-Flugbahn der Atlantis.
Der Kapitän der Santa Maria steht für Mut und Entdeckergeist. "Heute befinden wir uns in einer ähnlichen Situation wie die Menschheit im 16. Jahrhundert, in der Zeit der großen Entdecker Columbus, Cortes oder Magellan", schreiben Berndt Feuerbacher und Ernst Messerschmid in ihrem jüngst erschienenen Buch "Vom All in den Alltag". "Wir haben die großen unerforschten Weiten des Alls vor uns, und wie damals erfordert der Vorstoß ins Unbekannte wagemutige Mannschaften und mindestens ebenso kühne Investoren."
Was die Investoren zur Zeit von Columbus lockte, war die Aussicht, das Monopol der islamischen Händler zu brechen, die den Landweg nach Asien kontrollierten. Portugiesische Seefahrer arbeiteten bereits seit Jahrzehnten daran, diese Aufgabe durch die Umsegelung Afrikas zu lösen. Letztlich kamen sie auf diesem Weg auch schneller ans Ziel. Heute würde man sagen: Sie forschten stärker anwendungsbezogen. Columbus dagegen war der Grundlagenforscher, der mit seinem konsequenten Westkurs den 30 Jahre später durch Ferdinand Magellan erbrachten empirischen Beweis der Kugelgestalt der Erde ermöglichte. Dieser Vorstoß ins Unbekannte mit der unerwarteten Entdeckung eines neuen Kontinents war langfristig dann aber auch in wirtschaftlicher Hinsicht erfolgreicher als der portugiesische Ansatz. Mit Columbus beginnt der Transatlantikhandel, der Europa zu beispiellosem Wohlstand verhalf.
Entdeckung und Kommerz
Hierüber ist in den Logos der Columbus-Mission indessen nichts zu erfahren. Die Erinnerung daran wird schamhaft auf der Erde versteckt, zum Beispiel im unauffälligen Hamburger Stadtteil Wandsbek. Auf einer dreieckigen Verkehrsinsel steht dort eine Bronzebüste des einst reichsten Mannes Europas.
Baron Heinrich Carl von Schimmelmann hieß der erfolgreiche Unternehmer. Er lebte von 1724 bis 1782 und verdankte sein Vermögen unter anderem den von Columbus eröffneten Handelswegen. Eine Texttafel (6) neben dem Denkmal würdigt ihn als "Begründer der wirtschaftlichen Stärke Wandsbeks" und erläutert, er sei "auch durch den so genannten Dreieckshandel (Kattun und Gewehre, Sklaven, Zuckerrohr und Baumwolle) zwischen Europa, Afrika und Amerika" zu seinem Reichtum gekommen.
Dieses Geschäftsmodell hat seinen Namen von dem dreieckigen Kurs über den Atlantik, dem europäische Handelsschiffe mehr als zwei Jahrhunderte lang folgten. Im Falle Schimmelmanns bildete die Handelsroute zugleich eine in sich geschlossene, globale Produktionskette: Seine 14 Schiffe transportierten von Europa Kattungewebe, Gewehre und Alkohol zur Westküste Afrikas. Dort nahmen sie Sklaven an Bord und brachten sie in die Karibik, wo sie entweder auf Schimmelmanns Plantagen arbeiteten oder verkauft wurden. Für die Rückreise nach Europa luden die Schiffe Baumwolle und Rohzucker, die wiederum in Schimmelmanns eigenen Manufakturen zu Kattun und Rum für den Afrikatransport verarbeitet wurden.
Schimmelmanns Geschäftsbücher, die der 2004 verstorbene Historiker Christian Degn akribisch durchgesehen hat (Die Schimmelmanns im atlantischen Dreieckshandel, Wachholtz Verlag), verzeichnen bereits fürs erste Jahr nach dem Erwerb der Plantagen, als dort noch viele Aufbauarbeiten ausgeführt werden mussten, eine Rendite von über zehn Prozent. Das war mehr als das Doppelte von dem, was Gutsbetriebe in Europa einbrachten. Viermal fuhr allein das Sklavenschiff "Fredensborg" zwischen 1778 und 1789 das Dreieck und verschleppte dabei 1552 Afrikaner auf die Jungferninseln. Ein auf die Brust gebranntes S in einem Herzen kennzeichnete sie als Eigentum der Handelskompanie. Ungefähr jeder Sechste starb noch während der Überfahrt. Auf den Plantagen wurden Fluchtversuche mit dem Abhacken eines Beins bestraft. Die Inventarlisten verzeichnen auffallend viele Sklaven "mit einem Holzbein".
Seit der Enthüllung (7) des Schimmelmann-Denkmals im September 2006 hat es immer wieder Proteste (8) provoziert. Mehrmals wurde es mit roter Farbe bespritzt, Grüne und Sozialdemokraten fordern bis heute vergeblich seine Entfernung, die CDU schmettert alle entsprechenden Anträge mit ihrer Mehrheit ab. Der Ärger (9) entzündet sich zum einen an der hanseatischen Diskretion, mit der hier die Wurzeln der wirtschaftlichen Stärke Wandsbeks abgehandelt werden. Er hat aber auch damit zu tun, dass dieses Denkmal am falschen Ort errichtet wurde.
Denn bei Schimmelmann geht es nicht um Regionalgeschichte. Der kühl kalkulierende Unternehmer, der die Sklavengeschäfte im Namen des dänischen Königs durchführte, steht für ein Geschäftsmodell, von dem ganz Europa profitierte. Es ist richtig und wichtig, an ihn zu erinnern. Der unscheinbare Puvogel-Garten in Hamburg-Wandsbek ist dafür aber denkbar ungeeignet. Die Schimmelmann-Büste muss als Mahnmal für die Opfer der europäischen Expansion verstanden werden. Sie gehört dorthin, wo sie zukünftigem Handeln eine Orientierung geben kann: auf die Raumstation.
Columbus-Weltraumlabor.
Bild: Esa
Orientierung für die Entdeckungsreise ins Weltall
Wer unter dem Namen Columbus auf Entdeckungsreise ins All geht, darf nicht vergessen, dass die europäischen Seefahrer in früheren Jahrhunderten nicht nur als Entdecker, sondern auch als Eroberer die Meere besegelten. Soll sich das jetzt im Sonnensystem fortsetzen? Die Logos der Columbus-Mission geben darauf keine Antwort. Dabei ist die Frage alles andere als theoretisch.
Viele Wissenschaftler haben die begründete Hoffnung, auf dem Mars Leben zu finden. Wie gehen wir mit diesem Leben um, wenn sich, wie derzeit nicht nur in Amerika, sondern auch in Europa, Russland und China geplant, ab etwa 2030 Menschen dort niederlassen? Einer der wenigen, die sich bislang klar dazu geäußert haben, ist der britische Mikrobiologe Charles Cockell (10). Die Ehrfurcht vor dem Leben, schreibt er in seinem Buch "Space on Earth", hindere uns nicht daran, irdische Pflanzen und Tiere zu töten, wenn es für uns von Nutzen ist. Was aber, wenn sich eine außerirdische Lebensform, die wir zunächst als nahrhafte, wohlschmeckende Pflanze wahrgenommen haben, als empfindsames, intelligentes Wesen entpuppt?
Um interplanetaren Mord von vornherein zu verhindern, statt ihn später zu bedauern, fordert Cockell: "Wir sollten von der höchsten moralischen Relevanz ausgehen und jedes außerirdische Leben als intelligent ansehen, bis das Gegenteil bewiesen ist." Er verweist auf die historisch überreichlich belegte menschliche Neigung, unvertraute Lebensformen, Kulturen und Völker zu zerstören, und gibt zu bedenken: "Wenn wir bei den Entdeckungsreisen der Vergangenheit einem Prinzip ‚höchster moralischer Relevanz' gefolgt wären, hätte viel Leid und Zerstörung vermieden werden können."
Die von Columbus begründete Tradition ist nicht so schön und ungebrochen, wie es die Logos der bevorstehenden Weltraummission suggerieren. An den mission patches lässt sich jetzt nichts mehr ändern, aber das Columbus-Labor bleibt ja noch länger im All. Wir sollten die Schimmelmann-Büste mit einem der nächsten Transporter hinaufschicken. Auf der Erde könnte damit ein unfruchtbarer Streit beendet werden. Und im Orbit könnte der Bronzebaron eine wichtige Aufgabe erfüllen, indem er die ISS-Besatzung ständig mahnt, nie das Prinzip höchster moralischer Relevanz zu vergessen.
(1)
http://www.nasa.gov/mission_pages/station/main/
(2)
http://www.esa.int
(3) http://www.nasa.gov
(4)
http://www.esa.int/SPECIALS/Columbus/index.html
(5)
http://www.nasa.gov/mission_pages/shuttle/shuttlemissions/sts122/index.html
(6)
http://www.black-hamburg.de/TafelSchimmelmann-2.gif
(7)
http://fhh.hamburg.de/stadt/Aktuell/bezirke/wandsbek/pressemitteilungen/pressemitteilungen-archiv/2006/september/2006-09-01-uebergabe-der-bronze-koepfe.html
(8)
http://www.ungesundleben.org/blog/?p=8
(9)
http://www.afrika-hamburg.de/schimmelmann.html
(10)
http://cepsar.open.ac.uk/pers/c.s.cockell/
Telepolis Artikel-URL: http://www.heise.de/tp/r4/artikel/27/27222/1.html
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